1. Progammatische Vorbemerkung

Und er stellte ein Kind in ihre Mitte - dieser Satz aus dem Markusevangelium (Mk 9,36) ist dem Schulprogramm der Hildegardis-Schule vorangestellt; er ist programmatisch und herausfordernd.

Bereits für die  Zuhörer war die Geste Jesu - er stellt das Kind in die Mitte und nimmt es sogar in seine Arme - eine Zumutung, denn im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext jener Zeit war die Wahrnehmung des Kindes als Individuum mehr als unüblich. Jesus jedoch betont mit seiner Handlung die Würde des Kindes als unbedingt schützenswertes Wesen. Er provoziert damit die Zuhörer. Denn er bringt, so erzählt das Markusevangelium,  mit seinem Tun diejenigen zum Schweigen, die gerade noch auf sich selbst und ihre Interessen fixiert waren und über ihren Selbstwert und ihren Vor-Rang vor anderen gestritten haben. Seine Geste fordert die Anwesenden heraus, ihre Gedanken nicht auf die erfolgreiche Selbstbehauptung gegenüber möglichen Konkurrenten zu richten, sondern auf das Kind, das vor ihren Augen steht.

Wer sich heute im Handlungsfeld Schule von dieser Geste Jesu leiten lässt, der wird auf innere Distanz gehen zu einem „Denken in Rangordnungen, dem heute vielerorts vorherrschenden ‚Ranking‘“[1], das seit der PISA-Studie auch die Diskussion um die Bildungsinstitution Schule maßgeblich beeinflusst hat. Der Maßstab Jesu liegt gerade nicht im theoretischen gegeneinander Ausspielen von richtigen und falschen Strategien - „Welch einen Unterschied würde es ausmachen, wenn Jesus von dem Kind nur geredet hätte!“[2] - sondern im Handeln, und zwar im Interesse des Kindes.

Ein solcher Maßstab fordert alle heraus, die an der Hildegardis-Schule lehren, lernen und an der Gestaltung des Schullebens mitwirken. Ihn derzeit auf die schulische Praxis anzuwenden, erfordert Mut. Wenn nicht nur Eltern, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer sich aktuell durch öffentliche Bildungsdiskussionen zunehmend verunsichert fühlen und der Eindruck entsteht, dass „Bildung messen zum Nationalsport wird, erhöht sich der Druck auf die Schulen. Gesellschaft und Politik verordnen immer neue Reformen und Reförmchen. Sie schränken aber in der Summe die Räume für vertiefendes Lernen, für Beratung und Begleitung ein.“[3]

Als Schule in katholischer Trägerschaft wollen wir vor dem Hintergrund der im Markusevangelium geschilderten Szene und ihrer praktischen Konsequenzen eigene Wege der Gestaltung von Schule und Unterricht entwickeln und gehen. Ausgehend von der Handlungsweise Jesu, der das Kind ins Zentrum der Wahrnehmung stellt, wünschen wir uns eine Schule, in der

 „(...) sich Schüler, Lehrer und auch Eltern gemeinsam auf den Weg (machen), um ihre Verbindung mit Gott und seinem Evangelium zu festigen und zu vertiefen. Aus dieser Verbindung heraus wollen wir die Welt im Geist der Frohen Botschaft immer wieder neu gestalten. Dabei sind sich alle gegenseitig Vorbild und Ansporn. Alle sind Suchende und gleichzeitig solche, die Einsichten und eine Lebenspraxis gefunden haben. Diese Ausrichtung ist nicht ‚zusätzlich‘, sondern gehört zum Kern dessen, was katholische Schule bedeutet: Schulgemeinde bildet nicht nur eine Lehr- und Lerngemeinschaft, nicht nur eine Erziehungsgemeinschaft, sondern in ihr sind Menschen gemeinsam auf der Suche nach einer immer lebendigeren Beziehung zum Gott der Bibel, der uns in Jesus Christus ein lebendiges Gegenüber geworden ist.“[4]

Für alle am Schulleben Beteiligten, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern, ist Schule ein Teil ihres Lebens, der den Alltag prägt und unterschiedliche persönliche Stimmungslagen und Motivationen erzeugt. Lebensentscheidungen von Heranwachsenden werden durch die Institution Schule und die in ihr arbeitenden Menschen mitbestimmt. Jeder von uns verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz, wenn es um die Bedeutung von Schule geht! Was also könnte für uns aus dieser programmatischen Vorbemerkung folgen?

Im Spannungsfeld gegenwärtiger schulischer Herausforderungen, die wir oft genug auch als Mühe und nicht immer als Ansporn erleben, könnten wir uns von der Perspektive Jesu auf den Menschen und das Leben leiten lassen. Wir könnten die christlichen Vision gelungenen Lebens als Herausforderung begreifen, auch für unser Handeln im Lebensraum Schule. Dann dürften wir uns in unserem Selbstverständnis als Hildegardis-Schule nicht beschränken lassen auf äußere Vorgaben, nach denen wir uns als Bildungsinstitution zweifellos auch ausrichten müssen. Dann könnte unsere Suche nach eigenen Wegen beginnen, Schule gut zu machen.

 

[1]  Josef Epping: Diese eine Szene. In: Christ in der Gegenwart, 38/2015, S. 414

[2]  Josef Epping, s. o., S. 413

[3]  Klaus Mertes, Johannes Siebner: Schule ist für Schüler da, Freiburg 2010, S. 31

[4]  Leitbild der kath. Schulen im Erzbistum Paderborn, S. 3

2. Standortbestimmung der Hildegardis-Schule

Grundlegende Beobachtungen und Konsequenzen

Die Hildegardis-Schule unterliegt wie jede öffentliche Schule  bildungspolitischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Veränderungen. Daher gilt es, Bewährtes zu erhalten und zugleich die veränderten Lern- und Lebenssituationen der Schülerinnen und Schüler mit dem Ziel in den Blick zu nehmen, sich dort, wo es nötig ist, neu auszurichten.

Die Lebenswirklichkeit, in die unsere Schülerinnen und Schüler hineinwachsen, ist durch eine unüberschaubare Vielfalt an Lebensorientierungen und Sinnangeboten gekennzeichnet[5].

Wir müssen deshalb - gerade als Schule in kirchlicher Trägerschaft - unseren Blick dafür schärfen, dass unsere Schülerinnen und Schüler - ebenso wie unser Kollegium - Teil einer solchen sich rasant verändernden pluralen Lebenswirklichkeit sind, mit allen Chancen und Perspektiven, aber auch persönlichen Verunsicherungen. Wir ziehen daraus praktische Konsequenzen für unser Selbstverständnis als Lehrende ebenso wie für unser Profil als Gymnasium in kirchlicher Trägerschaft. Denn wir arbeiten aus der Überzeugung heraus, dass an unserer Schule nicht Traditionen, sondern heranwachsende Menschen im Zentrum unserer Bemühungen stehen sollen.

Daher ist Individualisierung eine zentrale Zielsetzung unserer Unterrichtsplanung und –gestaltung und der Förderung von Kompetenzen, sie dient der Ermöglichung individueller Vielfalt, u. a. durch alternative Leistungsformate in der Sekundarstufe II. Wir verstehen Individualisierung darüber hinaus aber auch als umfassenden Leitgedanken unseres Schulprofils im Sinne einer christlichen Haltung dem Menschen gegenüber. Entgegen der Auffassung, nur eine homogene Schülerschaft sei eine gymnasiale Schülerschaft, sehen wir es als notwendig und sinnvoll an, die Verschiedenheit der Begabungen, Lernvoraussetzungen und Sozialisation unserer Schülerinnen und Schüler als positive Herausforderung für unser professionelles Handeln anzunehmen, denn: „Es ist normal, verschieden zu sein“ (Richard von Weizsäcker).

Um bei der weiteren Schulentwicklung mit den oben skizzierten grundlegenden Veränderungen professionell umgehen zu können, verfügt unsere Schule über ein breites Spektrum von Gremien zur kollegialen Zusammenarbeit, das kontinuierlich weiter entwickelt wird. Über kollegiumsinterne Teamstrukturen sowie einen unverzichtbaren informellen Austausch hinaus fördern wir die Zusammenarbeit aller am Schulleben Beteiligten bei der Schulentwicklung, u.a. durch die seit 2012 bestehende QM-Steuergruppe. Unter Beteiligung von Schüler-, Lehrer- und Elternvertretern entwickelte die Steuergruppe bisher u.a. den an unserer Schule eingeführten verbindlichen Fragebogen für ein regelmäßiges Unterrichts-Feedback in allen Jahrgangsstufen.

Ein Schwerpunkt unseres Evaluationskonzepts liegt derzeit auf der Evaluation des oben genannten Unterrichts-Feedbacks sowie auf der Begleitung des Schulentwicklungsvorhabens (SEVO)  für die Schüler- und Lehrerschaft mit dem Ziel der kontinuierlichen Verbesserung unserer Unterrichtspraxis im Sinne der angestrebten Individualisierung. Dabei sind Fortbildungs- und Evaluationskonzept eng miteinander vernetzt.

 

[5] Vgl. dazu die Überlegungen zu den Konsequenzen eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels im Zukunftsbild des Erzbistums Paderborn, S. 23 f.

Mitten in Hagen - Konkrete Entwicklungen

Bereits seit einigen Jahren ist eine allgemeine Rückläufigkeit der Schülerzahlen in NRW[6] zu beobachten, die besonders am Schulstandort Hagen erkennbar ist. Weitere demographische Entwicklungen wie die insgesamt steigende Zahl von Schülerinnen und Schülern aus anderen Herkunftsländern zeichnen sich ebenfalls gegenwärtig bei uns ab. Zudem betrifft der in einschlägigen Studien belegte Wegfall eines geschlossenen kirchlichen Milieus[7] in besonderer Weise das Selbstverständnis katholischer Schulen und damit auch der Hildegardis-Schule. Kinder und Jugendliche wachsen mit erkennbar unterschiedlichen Wertekonzepten auf, von einer einheitlichen Prägung durch kirchlich gebundene Elternhäuser ist immer weniger auszugehen.  Eine Schule in kirchlicher Trägerschaft wird sich dieser Entwicklung nicht verschließen, denn: „Katholisch sein heißt, im Dialog zu leben“[8]. Die Hildegardis-Schule steht daher Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Herkunft, Konfession und Religion offen und begreift die Befähigung zum Dialog mit dem Anderen als eine ihrer zentralen Aufgaben.

Veränderungen zeigen sich weiterhin in der insgesamt zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft in Bezug auf schulische Basiskompetenzen. Wenn Schülerinnen und Schüler nach der Grundschulzeit ihre Schullaufbahn bei uns fortsetzen, bringen sie erkennbar unterschiedliche Voraussetzungen mit. Wir verstehen es daher als unseren zentralen Auftrag, neue Wege der Unterrichtsgestaltung zu entwickeln, um mit Beginn der Erprobungssstufe die Basiskompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler systematisch weiter zu entwickeln, zu festigen, ohne dabei Freiräume für individuelle Begabungen auch innerhalb des Unterrichts aus dem Blick zu verlieren. Durch eine systematische Weiterentwicklung der Konzeption von Unterricht wird die Hildegardis-Schule weitere Maßnahmen ergreifen, die die stärkere Individualisierung des Lehrens und Lernens in den Vordergrund der Planung und Gestaltung des Unterrichts rücken.

Vor diesem Hintergrund verstehen wir es als unsere Aufgabe, bestmögliche Bedingungen für eine erfolgreiche Schulzeit an der Hildegardis-Schule zu schaffen, in der jeder mit individuellen Begabungen und Lernvoraussetzungen seinen Platz findet, diese entfalten und erfolgreich lernen kann.

Im Rahmen einer Standortbestimmung der Hildegardis-Schule als Gymnasium in kirchlicher Trägerschaft spielt auch die derzeitige öffentliche Diskussion um eine Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit eine wichtige Rolle. Im Schulprofil soll daher deutlich erkennbar sein, inwieweit Bildungsgerechtigkeit im Rahmen zielgleicher gymnasialer schulischer Bildung konzeptionell und schulpraktisch verankert ist.

 

[6] So werden z.B. die Schülerzahlen in Nordrhein-Westfalen bis 2019 um etwa 15 % sinken. Vgl. Statistisches Landesamt: Regionalisierte Schülerprognosen in NRW 2010 (Zitiert nach Kirche und Schule Nr. 157, S. 15.)

[7] Vgl. die Ergebnisse der letzten Sinus-Studien  zur religiösen Sozialisation Heranwachsender

[8] Leitbild der kath. Schulen in Trägerschaft des Erzbistums Paderborn, S. 8

3. Wisse die Wege: Unsere Orientierung am Menschen

Wir sind eine Schule, die in ihrer Geschichte nicht stehengeblieben ist, sondern an ihrer inneren und äußeren Weiterentwicklung gearbeitet und sich dabei ihres Selbstverständnisses stets vergewissert hat. Wo es aufgrund bildungspolitischer, gesellschaftlicher oder räumlicher Bedingungen geboten war, bewiesen die Verantwortlichen immer wieder Veränderungswillen und –potential, ohne dabei den gymnasialen Bildungsauftrag sowie die prägende Grundausrichtung der Schule an den Bedürfnissen der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler aus dem Blick zu verlieren.

Die heutige Qualität unserer Schule zeigt sich nicht nur in der kontinuierlichen schulspezifischen Umsetzung der aktuellen ministeriellen Vorgaben zur Schulqualität. Ein weiteres zentrales Qualitätsmerkmal stellen die für unsere Schule charakteristischen, nicht unmittelbar überprüfbaren Akzentsetzungen[9] als Gymnasium in kirchlicher Trägerschaft dar. Diese betreffen insbesondere die Orientierung unserer Arbeit am christlichen Menschenbild in den unterschiedlichsten schulischen Bereichen.

Unser Leitspruch „Sci Vias - Wisse die Wege“ beinhaltet die vornehmliche Ausrichtung unserer schulischen Arbeit an unseren Schülerinnen und Schülern. Seinen Ursprung hat dieser Leitgedanke in der christlichen Mystik der Hl. Hildegard von Bingen (1098 - 1179). Heutzutage erscheint seine lateinische Fassung im Schullogo möglicherweise wie aus der Zeit gefallen. Dennoch wirkt der Leitgedanke in der Schulgemeinschaft bis heute weiter, denn er ist mehr als ein beliebiger Slogan. Als Aufforderung verstanden, ist in ihm Zentrales zum Wert des Menschen und zur Wahrnehmung der Welt aus christlicher Sicht ausgesagt. Mit den Worten Hildegards von Bingen gesagt: „Als Gott dem Menschen ins Angesicht schaute, gefiel er Ihm sehr gut“[10]. Übersetzt in unsere schulische Wirklichkeit heißt das: Jeder Mensch ist vor aller Leistung und aller Erfolgsorientierung zunächst als Person mit eigener Würde wahrzunehmen. Von diesem Menschenbild ausgehend wollen wir unseren Schülerinnen und Schülern mit ihren unterschiedlichen Begabungen und Voraussetzungen größtmögliche Unterstützung und Förderung in ihrer schulischen Laufbahn zukommen lassen. Wir wollen eine Bildung ermöglichen, welche der Selbst- und Menschwerdung des jungen Menschen dient und die ihm zur Entfaltung seiner Persönlichkeit in Freiheit und in sozialer Verantwortung verhilft.

Unserem Leitspruch „Sci Vias - Wisse die Wege“ folgend verstehen wir Bildung  in heutiger Zeit grundsätzlich als „Erschließung von Orientierungswissen, das jungen Menschen zuallererst dazu dient, die Welt in der Vielzahl ihrer Perspektiven zu verstehen. Das geschieht in der Eröffnung unterschiedlicher Perspektiven der Wahrnehmung und Gestaltung von Welt.“[11] Die Vermittlung mathematisch-naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen, die Schaffung von Zugängen zur Wirklichkeit durch Literatur, Kunst und Sprachen sowie alle gesellschaftswissenschaftlichen Fächer erschöpfen sich für uns nicht allein in der  Vermittlung von Fachwissen und -kompetenzen. Wir sehen es als unseren besonderen Bildungsauftrag an, in der konkreten Unterrichtsgestaltung, durch die Herstellung fächerübergreifender Bezüge sowie fundamental durch die Ermöglichung von individuellem Lernen in der Lerngemeinschaft, Schülerinnen und Schülern persönliche, rational begründete  und verantwortete Zugänge zu einer immer unübersichtlicher werdenden, in vielen Lebensbereichen auch bedrohten Welt zu erschließen. In ihrer Schullaufbahn wollen wir ihnen auch durch unsere zusätzlichen unterrichtsübergreifenden Angebote beispielhaft konkrete Wege gelebter Solidarität im Lebensraum Schule aufzeigen.

Im Schulleben der Hildegardis-Schule ist die eigenschöpferische Tätigkeit unserer Schülerinnen und Schüler – insbesondere in den Bereichen Kunst, Musik und Literatur - fest verankert. Projekte, Ausstellungen und Aufführungen sind nach außen sichtbare Ergebnisse ästhetischer Erziehung und Bildung. Diese hat zum Ziel, zur Wahrnehmung der Wirklichkeit „mit allen Sinnen“ anzuleiten, damit zu einer Verfeinerung des Urteils- und Wertschätzungsvermögens beizutragen und zu einer mündigen Teilhabe am kulturellen Leben zu befähigen.

Die Möglichkeit, zur Bildung und Selbstwerdung unserer Schülerinnen und Schüler durch außerunterrichtliche Angebote beizutragen, betrifft immer auch schulische Organisationsstrukturen und greift nicht selten in die zeitliche Unterrichtsplanung der Lehrenden ein. Dessen ungeachtet schätzen wir den Bildungswert solcher außerschulischer Freiräume sowie das damit verbundene Engagement der durchführenden Kolleginnen und Kollegen hoch ein, denn sie eröffnen unseren Schülerinnen und Schülern weitergehende Welt- und Selbsterfahrungen, die allein im Unterricht nicht möglich wären. Anzustreben sind daher die Weiterentwicklung von Organisationsstrukturen, die Freiräume für solche außerunterrichtlichen Angebote fördern, und eine breite kollegiale Unterstützung und Wertschätzung bei deren Umsetzung.

Neben den oben genannten Fächern eröffnet der an unserer Schule verpflichtende Religionsunterricht einen weiteren, zentralen Zugang zur Lebenswirklichkeit und zum Verständnis der eigenen Person. Denn „die Art und Weise, wie Religion Welt versteht und zum Handeln in der Welt bewegt“[12], ist eine ganz eigene Form der Weltbegegnung, die sich von dem Bildungsauftrag anderer Schulfächer unterscheidet. Diese Form der Weltbegegnung ist unserer Auffassung nach für ein  Gesamtverständnis der Wirklichkeit und eine umfassende Bildung unverzichtbar. Als Schule in kirchlicher Trägerschaft sehen wir es über den Religionsunterricht hinaus als unseren besonderen Bildungsauftrag an, auch in anderen Schulfächern Verstehenshorizonte aus christlicher Perspektive zu eröffnen. Überdies wollen wir auch durch außerunterrichtliche Angebote wie Projekte und Arbeitsgemeinschaften beispielhaft konkrete Wege verantwortlichen Handelns aufzeigen.

Vor dem Hintergrund ihrer Zeit formulierte Hildegard den Satz: „Alles nämlich, was in der Ordnung Gottes steht, antwortet einander.“[13] Auch wenn wir heute in einer  ganz anderen Zeit leben, haben uns die Worte Hildegards für die schulische Bildungsarbeit noch etwas zu sagen: Gemeinsam wollen wir sowohl in konkreten Projekten als auch im täglichen Miteinander das Bewusstsein für Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Welt als Gottes Schöpfung in der Schulgemeinschaft wachhalten. In einem von gegenseitiger Wertschätzung mitgetragenen Unterrichtsgeschehen, im offenen Dialog mit allen am Schulleben Beteiligten sowie im achtsamen Umgang miteinander wollen wir unsere Orientierung am christlichen Menschenbild sichtbar machen und zu einer christlich verantworteten Werteerziehung beitragen.[14]

 

[9] Der Referenzrahmen Schulqualität NRW verweist ausdrücklich darauf, „(…) dass längst nicht alles, was Schulqualität ausmacht, empirisch erfasst oder erfassbar ist.“ (vgl. ebda., S. 1)

[10] zitiert nach: Feldmann, Christian: Hildegard von Bingen. Nonne und Genie, Freiburg 2008, S. 11

[11] Kropac´, Ulrich: Unterschiedliche Modi der Weltbegegnung. Eine bildungstheoretische Einordnung. In: Kontakt 6/13, S. 12. Die Aussagen beziehen sich auf die in der Tradition eines humanistischen Bildungsverständnisses stehenden Überlegungen von Jürgen Baumert

[12] Kropac‘, Ulrich: Unterschiedliche Modi der Weltbegegnung, S. 11

[13] zitiert nach: Feldmann, Christian: Hildegard von Bingen. Nonne und Genie, Freiburg 2008, S. 10

[14] vgl. Leitbild,  S, 4, S. 12

4. Selbstverständnis der Lehrerinnen und Lehrer der Hildegardis-Schule

Das Selbstverständnis eines gesamten Kollegiums in einem Schulprogramm zu umschreiben, bedarf der Begründung. Denn scheinbar zwangsläufig ergeben sich Schwierigkeiten: Entweder entstehen sehr allgemeine und damit möglicherweise auch banale Aussagen, die der Vielfalt unterschiedlicher Lehrerpersönlichkeiten in einem Kollegium letztlich nicht gerecht werden und damit für die Praxis folglich kaum wirksam sein können. Bedenkt man außerdem, dass in zahlreichen öffentlich vermittelten Meinungen über Lehrerinnen und Lehrer allgemein der Eindruck vorherrscht, „nie sind sie gut genug“[15], so ließe sich auch vermuten, dass unsere Schule einem solchen öffentlichen Druck entgegenwirken wolle, indem sie von den eigenen Lehrerinnen und Lehrern das Gegenteil behauptet.

Demgegenüber verstehen wir die Umschreibung unseres Selbstverständnisses als Selbstvergewisserung. Diese beinhaltet unterschiedliche individuelle Erfahrungen, sie wird vom Kollegium ausdrücklich gewünscht und reflektiert und soll für unser Handeln in der Schule weiterhin wirksam sein: [16]

  • Bei aller sinnvollen Sach- und Kompetenzorientierung in der Gestaltung von Lernprozessen wollen wir bei Schülerinnen und Schüler auch Begeisterung wecken, sie zum Staunen über neu Entdecktes anleiten, sie ermutigen, die ersten Schritte des Lernens gemeinsam und unter Anleitung zu tun, um zunehmend selbstständiger eigene Schritte des Lernens zu wagen. Entscheidend ist für uns nicht allein, wer am Schluss das beste „messbare Ergebnis“ vorzuweisen hat, denn Lehrer-Arbeit „produziert“ kein messbares Produkt, sondern verhilft Heranwachsenden zunehmend eigenverantwortlich ihre eigenen Wege zu gehen und persönliche Haltungen zu entwickeln.[17]
  • Wir erleben unsere schulischen Aufgaben als zunehmend vielfältiger und herausfordernder. Allen Widrigkeiten zum Trotz, die sich aus unterschiedlichsten, auch vom Einzelnen nicht beeinflussbaren Gründen ergeben, lassen wir uns dennoch im positiven Sinne herausfordern zur Gestaltung eines guten Miteinanders. Denn dies ist für uns eine zentrale Voraussetzung des Lernens.
  • Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Schülerinnen und Schüler individuell und gemeinschaftlich lernen können. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, zur vernünftig-kritischen Auseinandersetzung in strittigen Fragen sowie die Schaffung einer Kultur der fairen Auseinandersetzung bei Streitigkeiten wollen wir mit pädagogischem Know-How unterstützen und aktiv fördern.

Dies ist der Konsens, an dem wir unser professionelles Handeln auch in Zukunft ausrichten werden. Die in ihm formulierten Leitgedanken stehen in enger Verbindung zur Grundausrichtung als Gymnasium in christlicher Trägerschaft sowie den Zielsetzungen der Schulpastoral an unserer Schule: Innerhalb der Strukturen des schulischen Systems verstehen wir uns  als „Anwälte des Lernens“[18] und zugleich als ‚Anwälte des Kindes‘, dessen Entwicklung wir während der Schulzeit auch, aber nicht ausschließlich als Wissen Vermittelnde begleiten wollen. Daraus ergeben sich konkrete Perspektiven für die Unterrichtsgestaltung.

1. Überlegungen zum pädagogischen Leistungsbegriff

Eine zentrale Aufgabe von Schule ist die Leistungsbewertung, die immer im Spannungsfeld von schulpädagogischer Diskussion steht. Verstärkt durch Reformen zu mehr offenen Strukturen des Unterrichts muss sich Schule die Frage nach (neuen) Formen der Leistungsbewertung und der Definition des Leistungsbegriffs stellen.

Hierbei sollte zunächst nach dem Bildungsverständnis gefragt werden, aus dem sich auch ein entsprechender Leistungsbegriff ableitet. An der Hildegardis-Schule Hagen, als katholische Schule in der Trägerschaft des Erzbistums Paderborn, steht das christliche Menschenbild im Vordergrund: Der Mensch wird nicht nur als Summe seiner Leistungen verstanden, sondern als Geschöpf Gottes, das mit all seinen Begabungen und Entwicklungspotenzialen gefördert werden soll.

 

1.1. Zielsetzungen eines pädagogischen Leistungsbegriffs

Die Hildegardis-Schule versteht deshalb unter Leistung nicht nur das Erreichen und die Performanz von Lernzielen , sondern orientiert sich maßgeblich an einem pädagogischen Leistungsbegriff (vgl. u.a. Klafki 2007, Bohl 2013). Leistung wird dabei als ein mehrdimensionaler, pädagogischer Begriff verstanden, der sowohl die unterrichtliche als auch die soziale und kulturelle Ebene des Schullebens mitberücksichtigt.

Innerhalb des Unterrichts soll das Kind in seiner Ganzheit wahrgenommen werden, da wir Lernen und Leisten immer als einen individuellen Prozess betrachten, der eines differenzierten und vielfältigen Anregungspotenzials bedarf (vgl. Bohl 2013, 6). Ziel ist es, Lern- und Leistungsräume als Teilbereiche unseres Leistungs- und Lernverständnisses zu öffnen.

Lernaufgaben fördern und fordern die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit für das eigene Lernen. Leistungsaufgaben überprüfen die individuelle Lernentwicklung. „Erfolgreicher Unterricht braucht beides, und zwar im Bewusstsein der Schüler möglichst separiert: viele entspannte Gelegenheiten zum intensiven Lernen und genügend anspruchsvolle Leistungssituationen.“ (Weinert, 1999, 33 zit. n. Leisen 2019).

Außerhalb des Unterrichts zeigt sich Leistung in Formen des sozialen und kulturellen Lernens. Die Berücksichtigung und Auszeichnung besonderer Leistungen, die z.B. im Rahmen von kulturellen oder ethischen Projekten erbracht werden, soll dabei auch Teil unserer Wertschätzung sein und kreative Formen der Würdigung beinhalten (vgl. Die deutschen Bischöfe 2016, 23).

 

1.2. Leistungsbewertung

Die Leistungsbewertung an der Hildegardis-Schule orientiert sich grundsätzlich an den ministeriellen Vorgaben und Richtlinien . Die ausgewiesenen Beurteilungsbereiche der schriftlichen Leistungen sowie der sonstigen erbrachten unterrichtlichen Leistungen werden entsprechend berücksichtigt und transparent gehalten (vgl. dazu QA-Bericht 2017).

Grundsätze der Leistungsbewertung Inhaltliche Ausgestaltung
Fachliche Lehrpläne fachspezifische Grundsätze der Leistungsbewertung innerhalb der schulinternen Lehrpläne
Schulentwicklungsvorhaben Leistungsgrundsätze und Bewertungsbögen für die alternativen Leistungsformate der mündlichen Prüfung, der kooperativen Präsentation sowie der schriftlichen Hausarbeit

 

1.3. Zielperspektiven

  • Entwicklung neuer Formen der Wertschätzung besonderer Leistungen im christlich-sozialen, kulturellen und unterrichtlichen Kontext (z.B. auch für die Teilnahme an Wettbewerben)
  • Austausch über einen pädagogischen Leistungsbegriff und mögliche alternative Formen der Leistungsbewertung innerhalb des Gesamtkollegiums bzw. der Fachschaften unter besonderer Berücksichtigung der weiteren Förderung einer Rückmeldekultur und der Begleitung von Lernprozessen im Spannungsfeld des Forderns und Förderns

1.4. Quellenverzeichnis:
Bohl, Thorsten (2013): Neuer Unterricht – neue Leistungsbewertung. In: Schulverwaltung Spezial. 14. Jg.1, S.4-7. Online unter: http://methodenpool.uni-koeln.de/benotung/3976-4000-1-bohl_leistungsbewertung_2te_version020505zo.pdf (Abruf: 25.3.2019)
Die deutschen Bischöfe (2016): Erziehung und Bildung im Geist der Frohen Botschaft. Nr. 102/25.04.2016. S. 21- 23.
Klafki, Wolfgang (2007): Siebente Studie. In: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktivistische Didaktik. 6. Auflage. Weinheim und Basel. Beltz Verlag. S. 209-246.
Leisen, Josef (2018): Lehren und Lernen. Aufgaben und Aufgabenkultur. Online unter: http://www.lehr-lern-modell.de/aufgabenstellungen (Abruf 25.3.2019)
Referenzrahmen Schulqualität NRW (2020). Dimension 2.7. S.39f
Schulgesetz NRW (2018): Leistungsbewertung.

 

[15] Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da, Freiburg 2010, S. 106

[16] Kurzfassung der Ergebnisse einer schulinternen Fortbildung  zum Thema „Auf die Lehrer kommt es an?!“ im Oktober 2016 in der Benediktinerabtei Königsmünster, Meschede

[17]Vgl. Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da, Freiburg 2010, S. 107

[18] Studienseminar Koblenz: Guter Unterricht schafft Lerngelegenheiten. Ein Lehr-Lern-Modell für die Lehrerausbildung und das Lehrercoaching. Koblenz 2016

5. Herausforderungen annehmen - Unterricht an der Hildegardis-Schule

Schülerinnen und Schüler im Zentrum der Unterrichts

Das Kollegium der Hildegardis-Schule begreift die professionelle Gestaltung und Weiterentwicklung von Unterricht als zentrale Aufgabe. Dieser Prozess umfasst  zunächst die immer schon stattfindende Planung, Durchführung und notwendige Reflexion des eigenen Unterrichts. Einen besonderen Schwerpunkt unseres schulinternen Entwicklungsprozesses bilden gegenwärtig neben der Umsetzung der neuen Kernlehrpläne NRW die Weiterentwicklung und Erprobung schuleigener Konzepte zur Individualisierung von Lernprozessen.

Mit der Einführung kompetenzorientierter Kernlehrpläne hat das Schulministerium in den letzten Jahren deutliche Veränderungen in den Vorgaben für alle Schulfächer vorgenommen. Die dabei erfolgte Konzentration auf zentrale zu erwerbende Kompetenzen, die Lehrenden zugleich die Möglichkeit bieten soll, „dabei entstehende Freiräume zur Vertiefung und Erweiterung der aufgeführten Kompetenzen und damit zu einer schulbezogenen Schwerpunktsetzung zu nutzen“[19], hat unsere Schule mit der Entwicklung und  praktischen Erprobung eines eigenen Modells zur Phasierung von Unterricht sowie mit dem Schulentwicklungsvorhaben zur Individualisierung von Formaten der Leistungsüberprüfung (SEVO) in der Sekundarstufe II systematisch aufgegriffen. Dabei haben wir eigene und innovative  Akzente gesetzt. Unser Ziel ist es, durch die Phasierung des Unterrichts mehr Freiräume für individuelles Lernen zu schaffen, die unterrichtlichen Möglichkeiten der differenzierten Förderung zu erweitern und im Sinne unseres Bildungsverständnisses einen vertieften Umgang mit Erlerntem zu ermöglichen. In der Sekundarstufe II werden durch die partielle Einführung alternativer Leistungsformate anstelle von Klausuren weitreichende Möglichkeiten eröffnet, individuelle Interessen und Fähigkeiten in die Leistungsbewertung einzubringen, Kooperations- und Präsentationstechniken zu schulen sowie mündliche Prüfungssituationen zu meistern.

 

[19] Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW, Vorbemerkungen zu den Kernlehrplänen, S. 7

Fördern und fordern - Lernen und Leben gemeinsam gestalten

Die an unserer Schule entwickelten Konzeptionen der Phasierung von Unterricht und das SEVO zielen letztlich auf die allgemeine Frage: „Was kennzeichnet einen guten Unterricht?“ Diese Frage wird im Schulalltag keineswegs ständig und direkt gestellt, sie begleitet aber unausgesprochen nicht nur die Lehrenden, sondern alle am Schulleben Beteiligten und ruft entsprechend den jeweils unterschiedlichen Vorstellungen vielfältige Erwartungen von allen Seiten auf den Plan. Ausgehend von dem für unsere Schule grundlegenden Verständnis von Bildung lassen sich bei allen Unterschieden in der Einschätzung dennoch einige Eckpunkte benennen, die für die Unterrichtspraxis an der Hildegardis-Schule maßgeblich sind.

  • Unterricht vollzieht sich zwischen Personen und ist Beziehungsgeschehen.
  • Unterricht berücksichtigt individuelle Voraussetzungen und zielt auf einen bestmöglichen Lernerfolg.
  • Unterricht ist mehr als überprüfbarer „Input-Output“; sein Gelingen misst sich nicht ausschließlich an der Umsetzung von außen an die Schule herangetragener gesellschaftlicher Interessen.
  • Unterricht schafft Raum und Zeit für vertiefendes Lernen und damit für Bildung im umfassenderen Sinne.

 

Unterricht ist Beziehungsgeschehen und vollzieht sich zwischen Personen.

Deren Erwartungen, ihr jeweiliges Selbstbild als Lehrende und Lernende, ihre persönlichen Motivationen und Lebenssituationen außerhalb der Schule sind nicht zu unterschätzende, wenn auch nicht in vollem Umfang messbare Bedingungsfaktoren[20] dessen, was im Unterricht tagtäglich geschieht.

Vor dem Hintergrund unseres am christlichen Menschenbild orientierten Bildungsverständnisses sehen wir den ‚Faktor Mensch‘ im Unterricht nicht als Problem, sondern als Chance und als Aufgabe. Wir begreifen Unterricht als dialogisches Geschehen, das sich zwischen Menschen vollzieht, die im Unterricht täglich zusammentreffen. Eine zentrale, unser Handeln als Lehrperson begleitende Frage ist daher: Was sagt mir dieser Mensch, der gerade vor meinen Augen steht? Und zwar nicht primär im Hinblick auf seinen Lern- und Wissensstand, sondern, unabhängig von seiner Schülerrolle, als Heranwachsender, Fragender und nach Orientierungen Suchender? Aus dieser Grundfrage ergeben sich weitere Zielsetzungen für unser Handeln nicht nur im Unterricht. Gilt es doch, die grundlegende Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen im Handlungsfeld Schule mit der Rolle des Lehrenden in Verbindung zu bringen.

In der Lehrer-Schüler-Beziehung  handeln Lehrpersonen institutionell bedingt immer als Autoritäten, d. h., zwischen ihnen und den Lernenden besteht ein durch die Institution Schule bedingtes „Machtgefälle“. Dieses ist nicht zu verstehen als Legitimation für willkürliches Handeln seitens der Lehrperson oder für eine durch ein falsches Autoritätsverständnis begründete Haltung, sich als Lehrperson nicht zu hinterfragen oder hinterfragen zu lassen. Gemeint ist die besondere professionelle Verantwortung des Lehrenden aufgrund der Tatsache, „dass die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler asymmetrisch ist“[21].

Aus dieser professionellen Verantwortung ergibt sich für uns als Lehrpersonen, dass wir  innerhalb und außerhalb des Klassenraums immer Vorbilder sein wollen.[22] An die Schülerschaft gerichtete Erwartungen wie z.B. eine gute Vorbereitung, Motivation und Ausdauer, Respekt und Höflichkeit im Umgang sowie die Bereitschaft, anderen zuzuhören und sie zu unterstützen, sind für uns nur einige der zentralen Verhaltensweisen, die wir als Lehrende vorzuleben bereit sein müssen. Ein anbiederndes Verhalten gegenüber Schülern, das vorgibt, es gäbe kein Autoritätsgefälle zwischen Lehrern und Schülern, wird vor diesem Hintergrund der Vorbildfunktion eines Lehrenden nicht gerecht.

Beim Umgang mit Fragen persönlicher Art, die z.B. die private Lebenssituation von Schülerinnen und Schülern betreffen, richten wir uns nach dem Grundsatz der Diskretion. Lehrerinnen und Lehrer erhalten in solche Situationen einen Vertrauensvorschuss von Schüler- oder Elternseite, mit dem sie professionell umzugehen haben.

Als Lehrpersonen verstehen  wir uns in Situationen, die ein pädagogisches Eingreifen erfordern, nicht als „Mit-Eltern“, d. h., wir können und wollen aufgrund unserer Lehrerrolle nicht die Erziehungsfunktion des Elternhauses übernehmen. Elterliche Erziehung findet nicht im Handlungsfeld Schule statt, und die Schule kann nicht erstverantwortlich für primäre Erziehungsziele wie z.B. Respekt, Höflichkeit, Rücksichtnahme, Verlässlichkeit sein. Diese kommen zu allererst dem Elternhaus zu; „Schule und Eltern haben je ihre eigene Verantwortung.“[23] Dies schließt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten zum Wohle der uns anvertrauten Heranwachsenden keineswegs aus. Unser oberstes Ziel ist es vielmehr, nicht im Alleingang, sondern durch unser pädagogisches Handeln und gemeinsam mit Eltern sowie Schülerinnen und Schülern unsere Schule für alle Beteiligten „gut zu machen“.

 

[20] Zu dem nicht zu unterschätzenden Einfluss dieser Bedingungsfaktoren auf den Erfolg von Unterricht vgl. z.B. die entsprechenden Ergebnisse der Hattie-Studie. Eine komprimierte Übersicht bietet die Zusammenfassung in: Zierer, Klaus: Hattie für gestresste Lehrer, Baltmannsweiler 2016, S. 42 ff., S. 57ff., S. 77 ff.

[21] Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da, Freiburg 2010, S. 50

[22] vgl. Referenzrahmen Schulqualität NRW, S. 37: „Lehrkräfte verhalten sich so, dass sie Vorbilder für Schülerinnen und Schüler sein können. Schülerinnen und Schüler werden - unabhängig von ihren Lernleistungen und Lernergebnissen - ernst genommen.“

[23] Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da, Freiburg 2010, S. 40

Unterricht berücksichtigt individuelle Voraussetzungen und zielt auf einen bestmöglichen Lernerfolg für alle. Dies erfordert eine schülergerechte Planung und Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrperson.[24]

Als Lehrerinnen und Lehrer der Hildegardis-Schule verstehen wir uns als Wegbereiter gelungenen Lernens. Wir setzen uns über eine routinierte Unterrichtsvorbereitung hinaus mit didaktischen und methodischen Strategien der Wissensvermittlung und des Kompetenzerwerbs für unsere jeweiligen Lerngruppen auseinander. Unterrichten schließt für uns die Bereitschaft zur Selbstreflexion - und auch zur Selbstkorrektur -  im Hinblick auf geplante Wege der unterrichtlichen Vermittlung ein. Unsere Grundfragen für einen gelungenen Unterricht lauten: Was benötigen meine Schülerinnen und Schüler zu diesem Zeitpunkt, um den an sie gestellten Anforderungen gewachsen zu sein und ihren Lernweg erfolgreich weiter zu beschreiten? Und über welche Möglichkeiten verfüge ich als Lehrender, solche Lernerfolge  zu eröffnen und zu steuern?[25]

Die in diesem Zusammenhang anklingende Frage nach dem Einsatz bestimmter Unterrichtsmethoden lässt sich unserer Überzeugung nach nicht pauschal beantworten, indem etwa kooperativen, offenen Lernformen gegenüber einer geschlossenen Form des lehrerzentrierten Frontalunterrichts grundsätzlich der Vorzug gegeben wird.  Ergebnisse der vieldiskutierten Hattie-Studie weisen darauf hin, dass nicht die Wahl einer bestimmten Methode ausschlaggebend für den Lernerfolg ist, sondern die erfolgreiche Instruktion durch die Lehrperson. Für einen größtmöglichen Lernerfolg ist danach entscheidend, „dass auf Seiten der Lehrperson Klarheit im Hinblick auf Ziele, Inhalte, Methoden und Medien besteht und es der Lehrperson gelingt, ihre Klarheit zur Klarheit der Lernenden werden zu lassen."[26] Schülerinnen und Schüler können dabei in einer ihrem Entwicklungsstand angemessenen Weise am Lernprozess beteiligt werden. Leitfragen, die sich Unterrichtende dann während ihres Unterrichts stellen müssen, sind etwa: Wie gut wurden die Aufgaben verstanden/erledigt? Was  muss getan werden, um die Aufgaben zu meistern? Welche Möglichkeiten der Selbststeuerung kann ich der Lerngruppe eröffnen? [27] Auf der Seite der Schülerinnen und Schüler kann ein effektives Feedback bezüglich des momentanen Lernstandes erfolgen, etwa angeleitet durch Fragen wie: Wohin gehst du bzw. gehen wir gerade? Was sind deine, was sind unsere Ziele? Wie kommst du voran, wie die Lerngruppe? Was ist dein bzw. unser nächster Lernschritt?[28]

Erfolgreiches Lehren und Lernen zeigt sich im individuellen Lernzuwachs. Dieser ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis des Engagements auf Lehrer- und Schülerseite, denn „Fortschritte in schulischen Leistungen erfordern Einsatz und Anstrengungen von allen Beteiligten.“[29] Auf dem Weg zum erfolgreichen Lernen dürfen Fehler passieren, wichtig ist, sie konstruktiv zu nutzen, um es das nächste Mal besser zu machen.

Eine Verwirklichung des hier beschriebenen Zieles erfordert vor allem Zeit, die wir durch die eingeführte Phasierung und Individualisierung von Unterricht gewinnen wollen. Deren konkrete Umsetzung unterliegt der individuellen Entscheidung der Lehrperson, die diese Entscheidung unter Berücksichtigung der inhaltlichen Anforderungen des Faches und der konkreten Situation in der Lerngruppe trifft. Ein regelmäßiges Feedback, sowohl innerhalb der gesamten Lerngruppe als auch für den einzelnen Lernenden, stellt dabei neben der Selbstevaluation auf der Schüler- und Lehrerseite ein weiteres wirksames Instrument zur Fortschreibung von Unterrichtsentwicklung an unserer Schule dar.[30]

 

 

[24] Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da, Freiburg 2010, S. 40

[25] vgl. Referenzrahmen Schulqualität NRW, S. 24: „Die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen wird auf zunehmend selbstständiges und selbstreguliertes Lernen ausgerichtet.“

[26] Zierer, Klaus: Hattie für gestresste Lehrer, Baltmannsweiler 2016, S. 62

[27] vgl. Zierer, Klaus: Hattie für gestresste Lehrer, Baltmannsweiler 2016, S. 66

[28] vgl. Zierer, Klaus: Hattie für gestresste Lehrer. Baltmannsweiler 2016, S. 66

[29] Zierer, Klaus: Hattie für gestresste Lehrer, Baltmannsweiler 2016, S. 112

[30] vgl. Referenzrahmen Schulqualität NRW, S. 28: „Die Wahrnehmungen und Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler zur Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse, zu Zielen und Inhalten sowie zu ihren eigenen Lernprozessen werden ernst genommen und berücksichtigt.“

Unterricht schafft Raum und Zeit für vertiefendes Lernen und damit für Bildung in umfassendem Sinne.

Denn erfolgreiches Lernen besteht für uns nicht ausschließlich in der Übung und Anwendung von Gelerntem. Unterricht benötigt auch Zeit für Fragen wie „Was sagt mir dieses Thema? Was nehme ich aus dem Gelernten mit?“  Diese Dimension des Unterrichtens lenkt erneut den Blick auf die Schülerinnen und Schüler und deren durch eine zunehmende Vielfalt von Sinnangeboten geprägte Lebenswirklichkeit. Guter Unterricht wird nicht nur bereits vertraute Bereiche ihrer Lebenswirklichkeit erschließen, sondern darüber hinaus dazu herausfordern, sich mit neuen, bisher unbekannten Perspektiven der Weltbegegnung auseinanderzusetzen. Dazu bedarf es fachkompetenter Lehrerinnen und Lehrer mit einer engagierten persönlichen Haltung  zu dem, was sie tun und zu den vermittelten Inhalten. Unser Ziel ist es daher, wann immer es möglich bzw. geboten ist, über die Bedeutung des Gelernten im Unterricht gemeinsam nachzudenken und so unsere Schülerinnen und Schüler zu einer reflektierten Haltung anzuleiten, damit sie in gesellschaftlichen und für die eigene Persönlichkeit relevanten Fragen eine begründete Position einnehmen und ihr Handeln danach ausrichten können[31].

„Gebildet ist also, wer sich vor oder neben das Gelernte zu stellen vermag, um es anzuschauen, es zu ‚verkosten‘ und sich dazu zu verhalten. Gebildet ist nicht, wer viel weiß, sondern wer reflektieren kann – wer sich also den eigenen Reaktionen auf Wirklichkeit und Lernstoff aller Art öffnen und mit ihnen umgehen kann.“[32]

 

[31] Diese Überlegungen folgen dem Vortrag von Klaus Mertes im Rahmen einer schulinternen Lehrerfortbildung im  Jahr 2015

[32] Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da. Freiburg 2010, S. 141

Unterricht ist mehr als überprüfbarer „Input-Output“; sein Gelingen misst sich nicht ausschließlich an der Umsetzung von außen an die Schule herangetragener gesellschaftlicher Interessen

So zentral der Erwerb von Wissen und Kompetenzen, die Anwendung und Einübung von Erlerntem, Leistungsmessung und Notengebung für alle Beteiligten und insbesondere für die weitere schulische und später berufliche Laufbahn unserer Schülerinnen und Schüler sind, zeigt sich der Erfolg unterrichtlichen Handelns vor dem Hintergrund der übergeordneten Zielsetzungen unseres Unterrichts letztlich nicht allein am messbaren Erfolg in Form von Schulnoten. Den Unterrichtenden ist bewusst, dass Schulnoten bei aller Bemühung um Objektivität immer auch subjektiven Charakter aufweisen.

Unterricht ist mehr als ein Wechselspiel von „Input“ und „Output“ und unsere Schule will mehr leisten als durch die Vergabe von Noten und Schulabschlüssen Zugänge zu beruflichen Werdegängen zu eröffnen. Selbstverständlich ist es für uns wichtig zu sehen, dass unsere Schülerinnen und Schüler in ihrem späteren Berufsleben erfolgreich sind und sich ihnen durch eine fundierte Schulbildung Zukunftsperspektiven eröffnet haben. Bildung aber ist für uns mehr als die Erfüllung bildungspolitisch gesetzter Standards oder ein Türöffner in die berufliche Zukunft. Daher verstehen wir es nicht als unsere primäre Aufgabe, einen durch volkswirtschaftliches Denken mitgeprägten „Markt“ zu bedienen. Selbstverständlich stellen wir unseren Schülerinnen und Schülern ein breit gefächertes Programm zur Studien- und Berufswahlorientierung zur Verfügung und fraglos sehen wir die bildungspolitisch festgelegten Standards als verbindlich für unsere Arbeit an. Zusätzlich sind wir aber der Überzeugung, dass es den weiter oben umschriebenen „Mehrwert“ schulischer Bildung geben muss, der in unserem Unterricht Gestalt gewinnen soll und mit dem wir zur freien Persönlichkeitsentwicklung unserer Schülerinnen und Schüler beitragen wollen.

„Kinder sind nicht ‚unsere‘ Zukunft, ‚unsere‘ Rentensicherung. Der Druck, dies sein zu müssen, ist für sie unerträglich, denn darin klingt immer mit, dass sie auch unsere Enttäuschung, unsere Desillusionierung, unsere geplatzte Hoffnung sein werden. Es wird viel zu viel auf die junge Generation projiziert. Kinder und Jugendliche sind um ihrer selbst willen zu fördern, zu fordern, zu erziehen, zu lieben.“[33]

 

[33] Mertes, Klaus, Siebner, Johannes: Schule ist für Schüler da. Freiburg 2010, S. 28

aktualisiert 2022